Schlüsseldienste

Wäre ich doch bloß Schlosser geworden!

Sitze hier und schreibe. Hätt ich mal was Anständiges gelernt…dann wäre ich gerade in der Arbeit. Oder „auf Arbeit“, wie es ein anderes deutschsprachiges Land ausdrücken würde. Oder Jugendsprache: „Was is Arbeit? Gemma Kino!“ …

Aber ich musste ja Tierärztin werden. Pah! Ich hätt mal was Anständiges lernen sollen, was wo man auch mit Geld verdienen tut und so. Wie zum Beispiel Schlosser. Ja. Ich hätte Schlosser werden sollen! Da verdient man echt anständig. Zumindest wenn man so Kunden hat wie mich. Und was ich mir auch an Geld gespart hätte…seufz…

Von Kindesbeinen an stehe ich nämlich regelmäßigst vor verschlossenen Haus- oder Wohnungstüren. Das passiert Euch bestimmt auch das ein oder andere Mal! Aber vermutlich habt ihr dann, im Gegensatz zu mir, einen passenden Schlüssel parat…

Mein erster Schlüssel wurde mir mit zwölf Jahren anvertraut. Und ich war zwölf Jahre alt als ich ihn wieder verlor…

Drehen wir die Uhr mal fünfundzwanzig Jahre zurück. Ich bin zwölf Jahre alt. OK, ertappt, wir müssen die Uhr doch sechundzwanzig Jahre zurückdrehen…Also, vor sechsundzwanzig Jahren bin ich zwölf Jahre alt. Verbrachte ich bisher meine schulfreien Nachmittage bei Omi und Opi wurde ich nun alt genug geheißen nach der Schule alleine nach Hause fahren und bekam von meinen stolzen Eltern meinen ersten Schlüssel ausgehändigt. Vorsichtshalber, „für den Notfall“, bringt Mami am Sonntag zwei Nachbarn je einen Ersatzschlüssel.

Montag. Reise mit meinem ersten eigenen Schlüsselbund in die Schule und voller Vorfreude am Nachmittag wieder nach Hause. Versuche die Haustüre zu öffnen – sie ist verschlossen. Ach ja richtig. Der Schüssel. Krame im Schulranzen. Kein Schlüssel. Leere den Schulranzen aus. Kein Schlüssel. Hmmm, den hab ich offensichtlich verloren. Na macht ja nix. Ich gehe zu Nachbar A um mir einen Ersatzschüssel zu holen. Als Mami heimkommt freut sie sich, dass alles so prima geklappt hat.

Dienstag. Stehe vor unserer Haustüre und krame im Schulranzen nach Ersatzschüssel (mein eigener Schlüssel ist irgendwie nicht wieder aufgetaucht).  Ersatzschlüssel taucht allerdings auch nicht auf… Hmmm, irgendwie blöd, aber macht ja nix. Ich gehe zu Nachbar B um mir den zweiten Ersatzschlüssel zu holen. Hänge diesen, nach erfolgreicher Passage der Tür, dann ordentlich ans Schlüsselbrett (neben den anderen Ersatzschlüssel) und gehe gleich weiter in den Keller um ein Fenster einen Spalt weit zu öffnen. Für den Notfall. Falls ich noch mehr Schlüssel vergessen oder verlieren sollte.

Mittwoch. Ich krame gar nicht erst im Rucksack da ich ja weiß keinen Schlüssel dabei zu haben. Die beiden verbliebenen Ersatzschlüssel hängen schließlich immer noch Seite an Seite auf dem Schlüsselbrett im Haus. Aber ich bleibe ruhig. Es bleibt ja immer noch das Kellerfenster. So hüpfe ich heiter ums Haus und finde das besagte Fenster – verschlossen vor. So ein Mist! Noch zwei Stunden bis Mami von der Arbeit heim kommt. So lange will ich einfach nicht warten! Na gut, dann muss ich eben ein Fenster einschlagen.

Lieblingsfarbe: rot. Lieblingsessen: Spaghetti mit Ketchup. Lieblingshobby: Fensterscheiben einschlagen.

Fast ein wenig erfreut einem meiner Lieblingshobbys nachzugehen (davon ein ander mal mehr) wandere ich fachkundig ums Haus welche Fensterscheibe daran glauben soll. Die erste Etage fällt weg – da komme ich ja nicht hoch. Das Erdgeschoß fällt weg – da sind alle Fenster vergittert. Bleibt nur ein Kellerfenster. Ich wähle das kleinste welches in unseren Garten blickte. Schließlich muss ja nicht gleich jeder sehen wie schnell man in unser Haus kommt. Ich denke schließlich mit!

Ein schöner Stein ward auch schnell gefunden und ich werfe ihn routiniert gegen die Scheibe. Wie ein Ping-Pong-Ball hüpft er fröhlich zurück und landet im Gras. Ein Grashalm knickt. Und die Scheibe? Die hatte noch nicht einmal einen Kratzer! Verdutzt werfe ich ihn gleich nochmal – mit demselben Ergebnis. Das war mir ja noch nie passiert! Und  im Scheiben zertrümmern bin ich Profi! OK, also ein größerer Stein muss her!

Über eine Stunde arbeite ich schwer bis die Scheibe endlich einsieht wer hier mehr Durchhaltevermögen hat. Sie zittert erschöpft ein letztes Mal und endlich – sie bricht. Welch Triumph! Adrenalin und Glückshormone durchströmen meinen Körper während ich in den Keller steige. Durstig und ein wenig erschöpft tappe ich in die Küche. Während ich meinem dehydrierten Körper ein Glas Wasser gönne kommt Mami zur Tür herein. Hatte ich wirklich so lange gearbeitet? Na egal, das war ja keine Arbeit sondern Vergnügen!

„Ach, Mami“, sage ich nach der Begrüßung beiläufig, „bevor du dich aufregst: ich habe meinen Schlüssel verloren. Die Nachbarn hatten leider auch keine mehr und irgendein Vollidiot hat das Kellerfenster, welches ich für den Notfall geöffnet hatte, verschlossen! Und drum musste ich, um ins Haus zu kommen, das eine, ganz kleine Kellerfenster zum Garten raus eingeschlagen. Aber reg dich nicht auf, das zahl ich von meinem Taschengeld.“

„Du hast WAS???“ regt sich Mami auf.

„Ich zahls doch eh von meinem Taschengeld, also reg dich nicht auf“ erwidere ich tapfer.

„Du zahlst WAS???“ brüllt Mami.

„Na das Fenster.“ wiederholte ich nun auch schon leicht genervt. „Ach so, ja, den verlorenen Schlüssel zahl ich natürlich auch.“

„Du zahlst WAS???“ Nun pocht auch noch Mami’s Ader auf der Stirn.

„F e e e n s t e r    und   S c h l ü ü ü s s e l  ! ! !“ Ich versuche etwas deutlicher zu sprechen.

„Und von was genau willst du das bezahlen?“ Die Stimme meiner Mutter überschlägt sich nun.

„Taschengeld! “ Antworte ich gelassen.

„Von WAS willst du das bezahlen???“ – Ja sprech ich denn wirklich soooo undeutlich? Aber Mami wütet gleich weiter: „Weißt du eigentlich, dass das niegelnagelneue Fenster sind?? Doppelverglasung!!!“ Sie schnappt nun nach Luft. „So ein Fenster kostet 4000,- Schilling! 4000,- Schilling!   V i e r t a u s e n d   ! ! !   Und sowohl Keller, als auch Fenster gehören ausschließlich unserem Vermieter, denn wie du weißt haben wir den Keller nicht gemietet!!!“

Oooh. Ich bekomme große Augen. 4000,- Schilling (heute wären das wohl um die 300,- Euro). Ups. Ich dachte so ’ne blöde Scheibe würde so 50,- Schilling kosten… Bei meinen fünf Schilling Taschengeld pro Woche hätt ich die dann recht locker in zwei bis drei Wochen abbezahlt… Aber 4000,- Schilling…Da muss ich jetzt wohl in den sauren Apfel beißen und nochmal zwei bis drei Wochen anhängen…

 

Fazit: ich habe aus dieser Geschichte gelernt! Ich habe nie wieder ein Fenster eingeschlagen. Dafür aber viele meiner schulfreie Nachmittage im Garten verbracht…

Unvorteilhafter wurde die Situation als ich von zuhause auszog. Verbrachte ich nun nämlich so manch Uni-freien Nachmittag betrübt im Stiegenhaus um auf meine Wohnungskollegen zu warten. Aber so richtig unerquicklich wurde die Situation als ich schließlich alleine wohnte. Ich bevorzugte zudem meinen Schlüssel besonders gerne nachts oder an den Wochenenden zu verlieren oder zu vergessen. Dann hieß es: Telefonzelle suchen. Ärgern, da Portemonnaie voll mit Vorteilskarten aber leer von Münzen. Tankstelle suchen um Geld zu wechseln. Zurück zu Telefonzelle. Schlüsseldienst rufen. Warten. Warten. Warten. € 160,- bezahlen. Ärgern. Ärgern. Ärgern. Schwören, nienienienie wieder den Schlüssel zu vergessen. Bis zum nächsten Mal…

Ich bin übrigens nicht nur gut im mich aussperren, ich habe es in meinem Leben auch schon das ein oder andere Mal geschafft mich EINzusperren!

Auch fünfjährige haben ein Recht auf Privatsphäre aufm Klo!

So zum Beispiel als ich mit fünf Jahren beschließe, dass nun auch mir das Recht nach etwas Privatsphäre auf der Toilette zustünde. Und so sperre ich eines Tages die Tür zum stillen Ort zu. Nachdem ich mich erleichtert hatte will ich diesen stillen Ort wieder verlassen. Aber der Schlüssel lässt sich weder nach links noch nach rechts drehen. Ohoh, meine Augen werden groß. Was nun? Nach Mami und Papi zu rufen macht gar keinen Sinn. Wie wohnten damals in einer alten Käserei und die Wohnräume waren vom Badezimmer durch einen 200m² großen Wirtschaftsraum sowie einer feuersicheren Eisentüre getrennt. So mache ich es mir auf dem Klo gemütlich und warte bis irgendjemandem die Blase drückt. Dieser irgendjemand war Papi.

„Bist du da drin, Kiki?“ ruft mein Papi und rüttelt an der Tür.

„Ja“ rufe ich fröhlich, „schon länger, ich komm nämlich nicht mehr raus!“

„Warum kommst du nicht mehr raus?“ fragt Papi besorgt.

Meine Güte, was für eine Frage, „Na weil ich nicht mehr aufsperren kann. Der Schlüssel lässt sich nicht drehen…“

„Warum hast du denn überhaupt zugesperrt?!?“ fragt Papi genervt.

„Weil auch ich ein Recht auf Privatsphäre habe!“ erwiedere ich trotzig.

„Privatsphäre???“ Papi’s Nerven sind nicht die stabilsten… „Privatsphäre!!! Zwischen Wohnraum und Klo liegen Luftlinie 100 Meter und eine Eisentüre!!!“

Er seufzt und versucht nun mir durch die Türe Anweisungen zu geben in welche Richtung ich den Schlüssel drehen muss. Aber: eine verzogene Holztüre sowie ein verbogener Schlüssel sind von (Kiki’s) Kinderhand nicht zu bedienen.

„OK“ so mein entnervter Vater, „wir machen das anders. Kannst du den Schlüssel herausziehen?“

Ich probierte und ja, das klappt, ich halte das verbogene Teil in meinen Händen.

„Sehr gut, dann mach das Fenster auf und ich geh in den Garten. Wirf den Schlüssel raus und ich sperre von außen die Türe auf“

Ich nicke.

„Hast du verstanden?“ fragt Papi.

Ich nicke heftiger.

„Kiki??? Hast du das verstanden?“

Ich nicke ein drittes Mal und sage „schon beim ersten Mal verstanden.“

Als mein Vater in den Garten kommt lehne ich schon am offenen Fenster in 3 Meter Höhe an die Gitterstäbe gelehnt und winke ihm freudenstrahlend entgegen. Aber Papi entleert sich erstmal am Apfelbaum. Dann stapft er zu meinem kleinen Gefängnis. Da steht er nun unter mir und ich wünsche mir nichts sehnlicher als das er ruft:

“ Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter.“

Aber stattdessen brummt er: „So, nun wirf den Schlüssel“

„Den hab ich doch schon längst geworfen!“ Ich bin beleidigt, dass er dieser märchenhaften Situation nicht gewahr wurde. „Du hast doch gesagt ich soll den Schlüssel rauswerfen!“ Verteidige ich mich als ich seinen Blick sehe.

Kikis Haus. Oben sieht man das Badezimmer/WC-Fenster und unten das (reparierte) Kellerfenster
Oben: Badezimmer/WC-Fenster Unten: (repariertes) Kellerfenster

Mein Vater steht unter dem Fenster und erzittert. Er zittert vor Wut. Und wohl auch vor Kälte – denn es hat vierzig Zentimeter Neuschnee…

Ich musste damals dann doch noch einige Zeit in meinem kleinen Gefängnis verharren bis der Schlüssel gefunden wurde. Denn die Frage wo in etwa ich ihn denn hingeworfen hätte konnte ich nicht beantworten. Ich hatte ihn einfach so fest wie ich konnte aus dem Fenster geschleudert…

Und auf meine Privatsphäre? Musste ich ab diesem Zeitpunkt wieder verzichten. So wie sämtliche anderen Familienmitglieder und Gäste auch. Denn vorsorglich wurde der Schlüssel nun im Tresor verwahrt…

Ach so, ja, und die eingeschlagene Scheibe? Die hat dann schlussendlich die Versicherung bezahlt…schließlich ist die ungeschickte Mami bei der Gartenarbeit gestürzt und hat dabei den Blumentopf gegen das Fenster geworfen…

PS: Ich musste meine Schreibarbeit wegen einer Wichtigen Angelegenheit kurz unterbrechen: Hunger – Kühlschrank leer – Einkaufen. Die kurze Unterbrechung zog sich dann doch etwas in die Länge, denn zurück vom Einkaufen musste ich feststellen, dass mein Schlüssel neben den Ersatzschlüsseln am Schlüsselbrett baumelt falls ich ihn nicht doch verloren hatte…

 

 

 

 

 

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