30 Jahre Carrera Chirripó. Die einen sporteln – die anderen feiern…

…fünf Tage Fiesta liegen vor uns. Schönheitsköniginnen werden gewählt und Bingo gespielt, es gibt Tanz und Gesang – und, natürlich das Highlight: das große Rennen, la Carrera Chirripó, auf Costa Ricas höchsten Berg.

Donnerstag, 15. Februar 2018.
Tag 1. Gewinne entweder beim Bingo – oder werde Schönheitskönigin.

Um 16 Uhr trifft sich das ganze Dorf im Salon – It’s Bingo Time! Natürlich kaufe auch ich mir ein Los, und gewinne nur knapp nicht. Dafür kann ich jetzt die Zahlen von 1 – 80 perfecto in Spanisch!

En el salón: „Vientisiete. Dos – siete.“ … „Cincuenta y cuatro. Cinco – cuatro.“

Carrera Chirripó - it's Bingo Time

Im Anschluss wird die Schönheitskönigin gewählt. Oder besser gesagt: Die Señora Chirripó. Okay, streng genommen wird sie auch nicht gewählt – damit niemand traurig ist entscheidet hier nämlich das Los wer gewinnt. Jede darf ein Kuvert ziehen und darauf steht dann ob sie ausgeschieden ist, oder eben die Frau Chirripó geworden ist…

(Wenn die hier wüssten, dass sich in den USA bereits die fünfjährigen [und noch jünger] dem Urteil zu schiach oder wow, gorgeous stellen müssen um ihre Mommies stolz zu machen…)

Ich drücke kräftig die Daumen für meine Hermana – aber das Glück ist ihr nicht hold und sie erreicht „nur“ Platz 4.

Mi hermana Mirna – bei der Auslosung zur Frau Chirripó

Carrera Chirripó - die Wahl zur Schönheitskönigin

Den Abend lasse ich dann mit meiner Nichte  und ein paar Miguelitos (ein Getränk, dass hauptsächlich aus Kokos besteht und wie ein himmlisches Dessert schmeckt) in der Bar Costa Brava ausklingen.

Freitag, 16. Februar 2018
Tag 2. Der Präsident kommt, die Sportler essen sich mit Spaghetti kräftig und abends wird lauthals karaokisiert.

Tagsüber wird erstmal fleißigst gearbeitet. Madre Margarita hilft beim kochen – denn später wird der Präsident gemeinsam mit den Sportlern im Salon zu Abend essen. Schließlich müssen diese ja fit sein für das große Rennen morgen. Und der Präsident, tja, der muss zwar nicht fit sein, aber der darf trotzdem mit ihnen speisen.

Carrera Chirripó - der Salón wartet auf die Athleten

Ich helfe natürlich auch mit, in dem ich Eiscreme verkaufe. Eiscreme und Granizado. Kennt ihr nicht? Also: aus einem riesigen Riesen-Eiswürfel werden Eisspäne gehobelt und in einen Becher gefüllt. Dann mit einem knallroten, picksüßen Sirup übergossen und etwas zuckriges Milchpulver darüber gestreut. Zum krönenden Abschluss wird das Ganze mit Kondensmilch übergossen. Ich habe natürlich gekostet was ich da verkaufe und bäh, es schmeckt so scheußlich wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber die Zuckergoscherln in Costa Rica lieben alles was süß ist. Zu süß – das gibt es nicht. Daher werden kräftig Eisspäne gehobelt…

Abends schlemmen die Wettkämpfer Spaghetti – allerdings ohne dem Präsidenten. Der konnte aus welchem Grund auch immer (der Grund war Spanisch und ich konnte es nicht verstehen) nicht kommen.

Aber die Fiesta ist auch ohne ihn im vollen Gange. Es gibt Cervezas und Karaoke.

Allerdings verabschiede ich mich zeitig denn morgen früh um sieben startet der Lauf und ich möchte ein wenig den Berg hinauf gehen um ein paar Fotos von den Läufern zu machen – so muss ich früh raus aus den Federn.

Als ich gegen 21h30 heimkomme weiß ich gar nicht wie ich in mein Zimmer gelangen soll: das ganze Wohnzimmer ist voll mit schlafenden Köpfen. Nur ungern möchte ich sie mit der Taschenlampe bestrahlen und wecken – da es sich hierbei um Sportler handelt die morgen fit sein wollen – aber draufsteigen fänd ich jetzt auch nicht so gelungen.

Ja, überall im ganzen Dorf sind alle Hotelzimmer ausgebucht und in jedem Garten stehen Zelte und in Wohnzimmern liegen Isomatten bereit für die zahlreichen Sportler. Das finde ich ja noch faszinierender: nicht nur, dass sie morgen 34 Kilometer rauf und runter rennen werden (von 1350 m auf 3400 m und zurück), nein, viele davon schlafen die Nacht davor und danach auf Isomatten im Zelt (und die Nächte hier sind kalt)!

Ich jedenfalls schlafe schlecht und hoffe, dass die Athleten sich besser ausruhen können.

Samstag, 16. Februar 2018.
Tag 3. Die einen rennen 34 Kilometer den Berg hinauf und hinunter, die anderen schwitzen lieber beim Tanze. Und manche machen beides.

Um 6 Uhr marschiere ich los. Im Rucksack die Kamera und ein Picknick-Frühstück (von meiner Madre selbstgemachte Tortillas mit Bohnenpaste und ein Kuchen). Nach circa zwei Kilometern, einem fünfzig Minuten (!) Marsch nach oben, finde ich ein feines Platzerl um zu fotografieren und zu frühstücken.

Um 7 Uhr fällt der Startschuss am Dorfplatz. Und zehn Minuten (!) später kommen die ersten Läufer!

„Hopp, hopp, hopp!“, oder: „¡Eso!“, wie die Costa Ricaner brüllen.

Carrera Chirripó 2018

Unglaublich – sie LAUFEN tatsächlich! Schnell gehen ist schon anstrengend, aber rennen? Hut ab!

Als alle vorbeigezogen sind wandere ich nach Hause und dusche den Schweiß von meiner Haut.  Und ich erinnere mich an meine Wanderung auf Costa Ricas höchsten Berg: Kikis Erfahrungen den Mt Chirripó zu besteigen.

Dann schnell auf den Dorfplatz. Der erste Läufer überquert nämlich bereits nach 3 Stunden, 8 Minuten und 2 Sekunden die Ziellinie. 3:08:02. In Worten: Dreistundenachtminutenundzweisekunden! Alle applaudieren begeistert (auch wenn das nicht Rekord ist) und ich bin ergriffen 🙂

Leider sind Sieger, Juan Ramón Fallas Navarro (3:08:02), und Zweitplatzierter, Juan Luis Fallas Navarro (3:09:13), zu schnell vorbei um ein gutes Foto zu erhaschen.

Aber Platz 3 und 4 entkommen mir nicht:

3:17:41 reicht für Platz 3: Abraham Serrano Ulloa

Carrera Chirripó 2018 Abraham Serrano Ulloa

Platz 4 braucht 3:19:02 für die Gesamtstrecke. Jhony Fallas Navarro

Carrera Chirripó 2018 Jhony Fallas Navarro

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Dann ruft der Eisstand und ich verkaufe kräftig Eis.
Im Anschluss treffe ich mich mit dem Padre und wir genießen einen Kaffee und fettig-süße-Costaricanische Leckereien – aber ich darf das, denn am Abend gibt es Tanz. Und da werde ich die Kalorien wieder runter tanzen!

Bis zur Sperrstunde wackle ich meine Muskeln über die Tanzfläche – Sperrstunde im Salon ist allerdings schon kurz nach Mitternacht ;-). Aber nicht nur ich tanze, das restliche Dorf natürlich auch. Und sogar ein paar der Läufer fegen munter über das Parkett!

Lustig war’s jedenfalls! Und daheim schlurfe ich wieder vorsichtig über die schlafenden Köpfe zu meinem Zimmer…

Sonntag, 17. Februar 2018.
Tag 4. Heute wird gemountainbiked und gefußballert – mit brandneuen Flutlichtern für den Fußballplatz.

Huhagähn. A bisserl müd‘ bin ich zugegebenermaßen schon, heut morgen. Hmm. Es ist sieben Uhr. Entweder ich versuch nochmal einzuschlafen, oder ich stehe auf und mache einen strammen Spaziergang um wach zu werden. Ich lausche ein paar Minuten den tobenden Kindern und der wild spanisch redenden und lachenden Familie – und entscheide mich für Plan B.

Nach der Runde, einer Dusche und einem kräftigen Bohnen mit Reis Frühstück fühle ich mich deutlich fitter. Also runter ins Dorf um die Mountainbiker zu beklatschen. Hm. Tja. Sooo begeistert bin ich diesmal nicht. Ich möchte deren Leistung auf gar keinen Fall schmälern – vor allem da ICH diese Tour nicht hätte fahren wollen oder gar können. Aber 40 Kilometer radln – da kenne ich Hobby-Radfahrer die das am Abend nach der Arbeit fahren…

Also verkaufe ich lieber noch mal ein wenig von dem süßem Kalten und treffe mich dann mit Gerhard auf einen Tee. Gerhard ist auf Urlaub hier, Papa ist Deutscher, Mama ist Mexikanerin und er selbst ist in Kanada aufgewachsen. Und des Papas jährliches Highlight war das Carrera Chirripó, wo er ganze achtzehn Mal mit gelaufen ist – beim letzten Lauf hatte er stolze 81 Jahre auf dem Buckel! Und er lief dieses Rennen in unter sieben Stunden (braucht man nämlich länger, wird man disqualifiziert)! Und nun setzt Gerhard das Erbe fort…

Am Abend findet dann ein Highlight statt: ein Fußballspiel. DAS ist noch nicht das Highlight, aber es ist das erste Mal in der Geschichte San Gerardos, dass am ABEND gespielt werden kann. Ist es hier ganzjährig ab 18 Uhr finster waren Spiele bisher nur tagsüber möglich. Aber brandneue Flutlichter ermöglichen nun das unmögliche: Ankick um 18 Uhr! Ich bin mir zwar nicht sicher ob das Dorf nicht eine neue Straße besser hätte gebrauchen können…

Montag, 18. Februar 2018.
Tag 5. Mehr Fußball. Mehr Tanz.

Der Vormittag verläuft ruhig. Vier Tage Fiesta hinterlassen bei manchen schon ein paar Spuren – denn Bier trinkt man zu solchen Anlässen hier fast genauso gern wie in Österreich…

Ich widme mich erst mal wieder einer Wanderung –

und etwas Buch-schreib-Arbeit.

Nachmittags und Abends finden noch einmal zwei Fußballmatches statt – die ich aber sausen lasse.

Abends gibt es wieder Musik – und da ist die Kiki natürlich dabei. Es gibt zwar nur noch so um die dreißig Überlebende die noch fit genug sind das Tanzbein zu schwingen, aber das reicht für gute Stimmung.

Als ich um Mitternacht ins Bett falle, bin ich aber dann auch ganz froh, dass wieder Ruhe einkehren wird in mein kleines Dörfchen…


Für vier Costa Ricaner (aus San Gerardo und Umgebung) ist es ganz ruhig geworden. Unabhängig voneinander haben sie am Sonntag den Freitod gewählt. Einen davon kannte ich sogar von meinem letzten Aufenthalt her – er liebte die Karaoke-Bar wo er jeden Samstag Abend anzutreffen war um zwar grauenhaft, aber mit Begeisterung zu singen. Nun nicht mehr. Ich weiß nicht warum er zu müde für das Leben war, aber es macht mich traurig, dass er nicht aus seinem Kummer herausfinden konnte.

Ruhe in Frieden


Ein paar Tage später…

Ruhe ist eingekehrt. Außer das elendige Moped das mich täglich um fünf Uhr morgens wachrüttelt. Es parkt neben meinem Bett, also ich mein‘, es parkt schon draußen, aber die Wände sind jetzt eher dünner hier. Und da es zu dieser Jahreszeit um fünf klirrend kalt ist, will der Motor nicht so gerne. Und so macht es täglich um diese Uhrzeit rucklzuckbrrm. Rucklzuckbrrm. Rucklzuckbrrmbrrmbrrmbrrm. Rucklrucklrucklbrrrrrrrrrrrrrrm.

Meistens bin ich dann wach. Aber falls nicht, kommt dann das röhrende Gas geben Wuuuuuuuuumwuuuuuumwuuuuuum um den Motor am laufen zu halten. Seufz. Wäre es zu dieser Uhrzeit nicht stockduster und bitterkalt, würde ich ja aufstehen. Naja, manchmal kann ich nochmal einschlafen – nur um pünktlich um 5:30 von Motorrad Nummer zwei noch einmal wachgerucklrucklbrrrmbrrrmbrrrm zu werden. Da es immer noch finster und kalt ist hält sich meine Freude auch immer noch in Grenzen das warme Bett zu verlassen. Aber spätestens wenn die Kinder vor Schule und Kindergarten (die beginnen hier schon um sieben Uhr!) auf Frühstück und Freudengeheul vorbeischau’n gebe ich mich seufzend dem Tag geschlagen.  Übrigens: der Spiegel im Badezimmer beschlägt obwohl ich mit kaltem Wasser dusche!

Aber der restliche Lifestyle hier entschädigt mich für die morgendliche Ohrenfolter. Alle sind bescheiden, freundlich und fröhlich und haben keinen Stress.  Wird man aufgeweckt, dann ist man halt wach. Hat man kein Geld um Pizza zu essen, isst man halt Reis mit Bohnen. Und wenn man warten muss, dann wartet man. Das Warten vergeht ja auf keinen Fall schneller wenn man sich darüber ärgert, oder?

 

 

 

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